CDs
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NEUES
AUS
DER
M U S I K W E L T
V ertigo Trom bone Q u a rte t
DEVELOPING GOOD HABITS"
nWog/Edel CD
(62')
Wie beweglich die gemeinhin als
schwerfällig verkannte Zugposaune
sein kann, weiß die Jazzwelt seit J.J.
Johnson. Heute, da man Tuba- und
B asssaxofon-Quartette gesehen
hat, kann ein Posaunenvierer nicht
wirklich verblüffen. Dem Q uartett
um M angelsdorff-Preisträger Nils
Wogram aber geht es ohnehin eher
um den Ensembleklang, ums Zu-
sammenführen persönlicher Stim -
men sowie um ungewohnte musi-
kalische Kontexte für das Instru-
ment. Die vier experimentieren mit
Luft- und Blastechniken, Dämpfern
und perkussiven Effekten, greifen
zu Blockflöte oder M elodica und
erschließen sich ein w eites Feld
klangspielerischer Facetten.
klm
MUSIK ★ ★ ★
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KLANG ★ ★ ★
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P ierrick Pédron
KUBIC’S CURE
ACT/Edel CD
Eine bekannte Rockband und deren
Songs gegen den Uhrzeigersinn auf
jazzig zu drehen - das klappt nur
dann ohne Peinlichkeit, wenn die Mu-
siker genug Abstraktionsvermögen
haben. So geschehen mit den Kult-
songs der Wave-Band The Cure, die
Altsaxofonist Pierrick Pedron mit sei-
nem Trio (Thomas Bramerie am Bass
und Franck Agulhon am Schlagzeug)
entkernt. Die Scheibe begeistert vor
allem da, wo sie sich von der Vorlage
löst, aber den Druck von Cure über-
nimmt. Auf drei Songs ist Thomas De
Pourquery zu hören, der seine Stim-
me aber nicht als Double von Cure-
Sänger Robert Smith einsetzt, son-
dern allenfalls als sekundierendes
Beiwerk.
T.U.
MUSIK ★ ★ ★
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KLANG ★
N atalia M. King
SOULBLAZZ
Nntnlin
Jazz Village/HM CD_______________________ (42]
Als blues-rockigen Shuffle mit ei-
nem Intro, in dem das Altsax so heiß
wie eine E-Gitarre klingt, hört man
die Standardballade „You Don’t
Know W hat Love Is“ auch nicht je -
den Tag - oder die Spiritualhym -
ne „Amazing Grace“ für M undhar-
monika solo. Natalia M. King, sin-
gende/songschreibende Am erika-
nerin in Paris, gibt sich ganz „old
school“. Die beiden Nummern bil-
den den Rahmen für zumeist eigene
Songs, in denen die studierte Histo-
rikerin den Blues-Hintergrund von
Jazz und Soul erforscht. Doch selbst
wenn sie mit klassischem Jazz ko-
kettiert („Ring Ring Dingeling“),
scheint im m er durch, wie modern
ihre französische Band ist.
klm
MUSIK ★ ★ ★
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KLANG ★ ★ ★
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j №
ohn Taylor
IN TWO MINDS
Cam Jazz CD
(46’)
Ein Pianist, aber vier Hände, ein
Kopf, aber zwei Solisten. Das Auf-
nahmeverfahren im Studio macht
es möglich: Auf „In Two Minds“ tritt
John Taylor in einen pianistischen
Dialog mit sich selbst. „Wir hatten
ein kleines Problem“, scherzt Taylor
in den Liner Notes über sein Zwie-
gespräch, „weil wir nicht wussten,
wer von uns beiden beginnen sollte,
aber wir einigten uns schnell, da ich
mich sofort freiwillig m eldete“. Und
so beginnt Taylor, stimmt ein Thema
an und spielt später Ornamente da-
zu, erfindet neue Stimmführungen.
Kaum einmal klingt ein Flügel so di-
rekt und doch so räumlich wie hier,
aufgenommen in den Ludwigsbur-
ger Bauer Studios.
T.U.
MUSIK ★ ★ ★
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KLANG ★ ★ ★
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Der Überflieger
Nächster Teil der „Bootleg
Series“ von Miles Davis
F
ür M iles Davis hätte es mit
der M usik seines akustischen
Quintetts, mit der er in den
1960
er
Jahren Furore machte, auch weiter-
hin gut weiterlaufen können. Doch
gerade in Zeiten großer Populari-
tät gehörte es zum künstlerischen
Selbstverständnis des Trompeters,
eine radikale Abkehr von gewohn-
ten musikalischen Abläufen zu w a-
gen. Damals nahm er die Verände-
rungen wahr, die sich in der Popmu-
sik anbahnten: angefangen bei dem
mitreißenden Funk von Sly & The Fa-
mily Stone bis hin zu den expressi-
ven Gitarren-Trips von Jimi Hendrix.
Dass er mit einem völlig neuen Kon-
zept andere Hörer erreichen würde,
war Davis wohl bewusst.
Nachdem er im Jahr
1969
mit „Bit-
ches Brew“ die Barrieren zwischen
Rock und Jazz gehörig aufmischte,
machte sich der Trompeter daran,
die beiden Kultstätten der Subkul-
tur, das Fillmore West in San Fran-
cisco und das Fillmore East in New
York im Sturm zu erobern. Wie sich
das bewerkstelligen ließ, hatte be-
reits Charles Lloyd vorexerziert. Die
Combo des Saxofonisten und Flötis-
ten war eine der ersten Jazzgrup-
pen, die in dem mit grellen Light-
shows ausgestatteten Rocktem -
pel Terrain eroberte. Da Davis auch
stets das richtige Gespür für neue
Talente hatte, holte er - nachdem
Lloyd sein Quartett aufgelöst hat-
te - dessen Pianisten Keith Jarrett
und den Drummer Jack DeJohnette
in seine Band.
Bislang lag Miles Davis’ Auftritt
im Fillmore East, der an vier aufei-
nanderfolgenden Tagen im Juni
1970
über die Bühne ging, auf Tonträ-
gern nur in stark gekürzter Form vor.
Auf der ursprünglichen Doppel-LP
„M iles Davis At Fillm ore“ w a-
ren
nicht
die
Titel
angege-
ben, sondern
nur die je w e ili-
gen Tage der Veranstaltungen,
die sich von „W ednesday M iles“
bis „Saturday Miles“ hinzogen. Jetzt
liegt in neuer Abmischung der kom-
plette Auftritt des Startrompeters
mit m ehr als eineinhalb Stunden
unveröffentlichter Musik vor. Davis
eröffnete dabei jeden dieser m a-
gischen Auftritte mit „Directions“.
Wie er mit diesem stets abgewan-
delten Intro-Thema überkommene
rhythmische und melodische Eng-
pässe vermied und dafür neue Ideen
und Spielformen fand, unterstreicht
seine damalige Experimentierlust.
Wenn Davis in den rhythmischen
Tornado, in dem sich wie Leucht-
signale Phrasen aus Jazz, Funk und
Rock auftürmten, mit heißer Intona-
tion seine Trompeten-Chorusse ein-
schleuste, enthielten sie Tonsignale,
die seine Band aufforderten, ihn bei
seinem Vorstoß in unberührte mu-
sikalische Regionen zu begleiten.
Wie muss sich Keith Jarrett ge-
fühlt haben, der in diesem Kontext
nicht auf dem Piano brillie-
ren durfte, sondern da-
zu bestimmt war, auf
der Orgel verbinden-
de Sounds zu kreie-
ren? Das geschieht in
bester Allianz
mit Chick Co-
reas E-Piano-Spiel, das - wie in „The
Mask“ - Funk mit abstrakten Motiven
verbindet. Die strukturierenden Ele-
mente, die Dave Holland auf akus-
tischem und E-Bass einbringt, sind
für das Geschehen eminent wichtig.
Sie verbinden sich mit Jack DeJoh-
nettes dichtem rhythmischen Netz-
werk, bestehend aus Polyrhythmen,
die durch Airto Moreiras Percussi-
on frischen Zustrom erhalten. Bei je-
dem dieser Konzerte spielte Davis
„Bitches Brew“, das im Vergleich zur
Studioaufnahme mit anderen musika-
lischen Facetten ausgeleuchtet wird.
Als Bonus-Tracks enthält die
Edition drei bislang unveröffent-
lichte Stücke, die in gleicher Be-
setzung einige M onate zuvor im
April im Fillmore West in San Fran-
cisco aufgenommen wurden. „Pa-
raph ernalia“,
„Footprints“
und
„M iles Runs The Voodoo Down“
sind m usikalische Appetizer und
wecken den Wunsch nach mehr.
Gerd Filtgen
MUSIK ★
KLANG ★
Miles Davis: Miles At The Fillmore -
The Bootleg Series Vol. 3 (Columbia/
Sony). 4 CDs (250’); zirka 27 Euro
STEREO 6/2014 133
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